Geschlechtervielfalt: Trans- und Intergeschlechtlichkeit
Inhaltsverzeichnis
Geschlecht und Geschlechtervielfalt
Geschlecht umfasst grundsätzlich mehrere Bereiche:
- Körperlich: Chromosomen, Hormone und primäre/sekundäre Geschlechtsmerkmale
- Psychosozial: Geschlechtsidentität und -ausdruck, Geschlechterrollen und Geschlechtsstereotype
- Juristisch-administrativ: Geschlechtseintrag im Personenstand (persönliche Dokumente, Erfassung in Formularen, rechtliche Regelungen etc.)
In diesen Bereichen (Dimensionen) können Entwicklungen stattfinden. Sowohl die körperliche als auch die psychosoziale Dimension des Geschlechts sind Teil der individuellen menschlichen Entwicklung, die nicht unbedingt vorausgesagt werden kann – auch wenn es oft eine Übereinstimmung mit binären sozialen und biologischen Normvorstellungen gibt. Diese traditionell zweigeschlechtliche Einteilung ist stark kulturell verankert. Wer den Geschlechtsnormen nicht entspricht, wird oft als unpassend, abweichend, unattraktiv oder krank angesehen.
Geschlechtsidentität bezieht sich darauf, wie Menschen sich selbst als geschlechtliche Individuen wahrnehmen und wie sie von anderen wahrgenommen werden wollen. Die Geschlechtsidentität kann als „weiblich“, „männlich“, „nicht binär“, „inter“ oder noch anders erlebt werden und ist bei jedem Menschen individuell.
Der Begriff „Geschlechtervielfalt“ beschreibt die vielfältigen Geschlechtsidentitäten und körperlichen Geschlechtsmerkmale von Menschen. Inter-, transgeschlechtliche und nicht binäre Menschen können in sozialen und politischen Fragen kooperieren, um ihre Interessen zu vertreten. Gleichzeitig ist eine klare Unterscheidung ebenso wichtig, um jeweils auf spezifische Problematiken und Bedarfe (z.B. in der Gesundheitsversorgung) eingehen zu können.
Intergeschlechtlichkeit: Was ist das?
Wenn ein oder mehrere körperliche Geschlechtsmerkmale nicht oder nicht ganz den medizinisch-gesellschaftlichen Vorstellungen von „weiblich“ und „männlich“ entsprechen, wird von „Intergeschlechtlichkeit“, Inter* oder „Variationen der Geschlechtsmerkmale“ (VdG) gesprochen. Das bedeutet, dass Genitalien, Gonaden und reproduktive Organe individuell aussehen und angelegt sein können und bestimmte körperliche Entwicklungen aufgrund hormoneller oder/und chromosomaler Strukturen unerwartet ausbleiben oder einsetzen. Je nach Definition und Grenzziehung sprechen Studien von unterschiedlichen Häufigkeiten bis zu 1,7 Prozent der Bevölkerung.
Intersexualität in der Medizin
In der Medizin wird von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ oder „Intersexualität“ gesprochen. Darunter fallen rund 50 Diagnoseschlüssel im Internationalen Klassifikation der Krankheiten ICD-11 der WHO, die als anatomische, endokrinologische oder chromosomale Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD, Disorders of Sex Development) eingestuft werden. Bei manchen Formen von VdG kann ein medizinischer Bedarf entstehen. Da die meisten VdG aufgrund der geringen Fallzahlen als „Seltene Erkrankungen“ geführt werden, sind diese oft noch wenig erforscht. Der Weg zur Diagnose und Therapie ist daher oft lang und schwierig.
Menschenrechtsbasierte Forschung, Organisation und Interessenvertretungen, z.B. die Vereinten Nationen oder die Organisation Intersex International, gehen allerdings insgesamt nicht von einem Krankheitsbegriff und damit verbundener Behandlungsbedürftigkeit aus, sondern von einer überwiegenden Mehrheit von gesunden Menschen im Spektrum der Körper- und Geschlechtervielfalt.
Menschenrechtsbasierte medizinische Forschung orientiert sich daher an Grundsätzen wie die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, das Recht auf eine offene Zukunft und Schutz vor fremdbestimmten Eingriffen. Diese Grundsätze werden durch irreversible, nicht konsensuelle und medizinisch nicht notwendige Behandlungen verletzt.
Transgender-Personen: Was bezeichnet der Begriff?
Der Begriff Transgender-Personen bezeichnet Menschen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit Geschlechtsgrenzen überschreiten, sei es vorübergehend – etwa Transvestitinnen/Transvestiten, Cross-Dresser und gender-fluide Personen – oder dauerhaft wie bei Transsexuellen und Transidenten. Personen, die sich in keinem der beiden Geschlechter wiederfinden, werden als „nicht binär“ oder „non-binary“ (NB) bezeichnet.
Zahlreiche Forschungsarbeiten aus der Neurowissenschaft weisen darauf hin, dass zerebrale Strukturen (Gehirnstrukturen) von Transsexuellen eher denen ihres Wunschgeschlechts als ihres Geburtsgeschlechts gleichen. Die für die Geschlechtsidentität maßgeblichen Bereiche des Gehirns und die Sexualorgane können sich unterschiedlich entwickeln.
Transsexualität in der Medizin
Der Begriff Transsexuell wird in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD-10) definiert durch den anhaltenden Wunsch, im anderen Geschlecht zu leben und darin anerkannt zu werden. Für medizinische Geschlechtsangleichungen wie Hormontherapien und geschlechtsanpassende Operationen muss die ICD-Diagnose Transsexualität vorliegen.
Mit der 2018 beschlossenen, voraussichtlich in Österreich erst in den nächsten Jahren gültigen Neufassung ICD-11 wird der Begriff „Transsexualität“ durch die breiter definierte „Geschlechtsinkongruenz“ (engl.: Gender incongruence) ersetzt.
Der Leidensdruck aufgrund der Spannung zwischen individuell erlebtem Geschlecht – das im ICD-11 nicht unbedingt als männlich oder weiblich verstanden wird – und zugewiesenem Geschlecht ist zu mindern. In den letzten Jahren ist der Bedarf an Transgender-Behandlungen stark gewachsen.
Trans- und Intergeschlechtlichkeit: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Während sich Intergeschlechtlichkeit vor allem auf das Vorhandensein von „nicht eindeutig“ männlichen oder weiblichen körperlichen Geschlechtsmerkmalen bezieht, leiden Transgender-Personen vor allem unter den Einengungen des ihnen zugeschriebenen sozialen Geschlechts.
Eine Abgrenzung zwischen Trans- und Intergeschlechtlichkeit ist brüchig, auch weil eine eindeutige physiologische Grenzziehung zwischen den Geschlechtern wissenschaftlich nicht unbedingt möglich ist.
Welche Probleme betreffen beide Gruppen?
Bei Trans- und Intergeschlechtlichkeit geht es um den medizinischen und gesellschaftlichen Umgang mit einem besonders sensiblen und verletzbaren Bereich des Menschen, nämlich seiner geschlechtlichen Identität. Ausprägungen des Geschlechts, die von üblichen gesellschaftlichen Vorstellungen abweichen, waren immer wieder von Diskriminierung und einem Anpassungsdruck an die zweigeschlechtliche Norm betroffen.
Daher verschweigen viele intergeschlechtlichen Menschen ihre körperlichen Variationen und passen sich stark der zugewiesenen Geschlechterrolle an. Transgender-Personen, die ihre gefühlte Geschlechtsidentität (ihre „innere Wahrheit“) teils jahrzehntelang unterdrücken, leiden oft an psychischen und gravierenden psychosomatischen Erkrankungen, die sich meist mit der Lösung der Blockaden im Geschlechtswechsel verflüchtigen.
Warum die gesellschaftliche Akzeptanz wichtig ist
Wenn die Vielfalt (Diversität) von Geschlechtsidentitäten und Geschlechtsmerkmalen gesellschaftlich akzeptiert wird, kann die psychische Belastung und Diskriminierung der Betroffenen entschärft werden. Dabei spielen Aufklärung und Inklusion im nahen persönlichen und im gesellschaftlichen Umfeld eine wichtige Rolle.
Laut Bioethikkommission stehen Medizin und Gesellschaft daher bei Trans- und Intergeschlechtlichkeit vor der Herausforderung, überkommene Pathologisierungen zu hinterfragen, ein Recht auf Individualität anzuerkennen und die subjektive Selbsteinschätzung Betroffener ernst zu nehmen. Das Recht der Betroffenen auf Sorge um ihr Wohl, auf (sexuelle) Selbstbestimmung, auf körperliche Integrität, auf Privatsphäre und auf Nichtdiskriminierung hat dabei eine besondere Bedeutung.
Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung
Die Gesundheitsversorgung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen erfordert enttabuisierte und möglichst entpathologisierende (d.h. nicht von einer Krankheitsdefinition ausgehende) Herangehensweisen von entsprechend sensibilisierten medizinischen, therapeutischen und psychosozialen Berufsgruppen. Dazu zählen menschenrechtsbasierte Selbsthilfe-, (Peer-)Beratungs- sowie Therapieangebote auf Augenhöhe und nicht zuletzt der Abbau persönlicher Vorurteile.
Rechtliche Anerkennung
Laut PStG 2013 ist der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zu korrigieren, wenn er sich als falsch herausgestellt hat oder unrichtig geworden ist. In Österreich gibt es seit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs 2018 bzw. einem Erlass des Innenministeriums 2020 die zusätzlichen Eintragungsmöglichkeiten „inter“, „divers“, „offen“ oder die Streichung des Geschlechtseintrags im Zentralen Personenstandsregister. Im Pass wird ein alternativer Eintrag ausschließlich als „X“ eingetragen.
Allerdings stehen diese Optionen nur nach einem fachärztlichen „Nachweis einer Variante der Geschlechtsentwicklung“ zur Verfügung und sind somit nur intergeschlechtlichen Menschen vorbehalten. Weitere Informationen zu alternativen Geschlechtseinträgen finden Sie auf der Web-Seite von VIMÖ unter FAQ.
Transidente Personen können unter bestimmten Voraussetzungen den Geschlechtseintrag nur von „weiblich“ zu „männlich“ bzw. umgekehrt ändern. Einträge wie „divers“ oder „offen“ oder die Streichung des Geschlechtseintrags sind für diese Personen nicht zugänglich. Einträge wie zum Beispiel „trans“ oder „nicht binär“ gibt es nicht. Nach dem Namensänderungsgesetz (§ 3.1.7 NÄG) dürfen mündige Erwachsene keinen Vornamen wählen, der ihrem eingetragenen Geschlecht widerspricht. Die für Trans-Personen wichtigen, passend „geschlechteten“ Vornamen können diese erst nach einer Personenstandsänderung annehmen. Davor können nur geschlechtsneutrale Vornamen gewählt werden, eine Option, die derzeit vor allem nicht binäre Menschen wählen. Weitere Informationen finden zu Personenstand und Namensänderung finden Sie auf der Web-Seite von TransX unter Rechtliches.
Weitere Informationen:
- VIMÖ – Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich
- TransX – Verein für Transgender-Personen
- VARGES – Beratungsstelle für Variationen der Geschlechtsmerkmale
- Empfehlungen zu Varianten der Geschlechtsentwicklung (Sozialministerium)
Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.
Letzte Aktualisierung: 15. Juni 2021
- Redaktion Gesundheitsportal
- VIMÖ - Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich / VARGES – Beratungsstelle für Variationen der Geschlechtsmerkmale und dem Verein TransX in Zusammenarbeit mit der Redaktion Gesundheitsportal
Expertenprüfung durch: Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz