Poltern
Inhaltsverzeichnis
Was ist Poltern?
Betroffene sprechen unrhythmisch, wechseln zwischen normalem Tempo und sehr raschem Sprechen. Beim Vorgang des Sprechens werden Wörter, die sich bereits gedanklich gebildet haben, laufend vorauseilend und teils abgeschnitten in die Sätze eingefügt. Es finden keine normalen Sprechpausen statt. Silbenbetonung und Sprechrhythmus sind nicht flüssig. Silben, Wörter bzw. Satzteile werden wiederholt. Wörter und Sätze werden abgebrochen. Die Sprache wirkt „verwaschen“ und undeutlich. So werden etwa Lautfolgen vereinfacht, Silben ausgelassen oder zusammengezogen. Je nach Alltagssituation kann die Symptomatik unterschiedlich sein. Betroffene Personen können teils sehr stark bezüglich Verständlichkeit und Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt sein.
Welche Ursachen hat Poltern?
Warum es im Endeffekt zu Poltern kommt, ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Theorien gehen davon aus, dass es zu Störungen in der Koordination zwischen Prozessen im Gehirn und dem Sprechapparat kommt bzw. dass die Wahrnehmung und Steuerung zeitlicher Abläufe gestört ist. Es tritt unter anderem eine Diskrepanz zwischen der Geschwindigkeit des Denkens und der Umsetzung der Gedanken in Sprechbewegungen auf. Auch genetische Ursachen sind nicht auszuschließen. Ungünstige Entwicklungsvoraussetzungen in der Kindheit können die Entstehung dieser Redeflussstörung begünstigen. Dem Poltern kann zudem eine neurologisch neu aufgetretene Erkrankung (z.B. nach einem Schädel-Hirn-Trauma) zugrunde liegen.
Wie wird die Diagnose Poltern gestellt?
Kennzeichen von Poltern
Poltern erkennt man nicht an einem einzelnen Merkmal. Es ist eine recht komplexe Redeflussstörung. Es kann zu folgenden Symptomen kommen:
- Schnelles, unregelmäßiges Sprechen
- Nicht flüssiges Sprechen:
- Wiederholung von Silben, Wörtern und Satzteilen oder Lauten
- Einschub von Lauten oder Silben (z.B. „ähm“) bzw. wiederkehrenden Floskeln (z.B. „irgendwie halt“)
- Satz- und Wortabbrüche
- Versuche, während des Sprechens das Gesprochene zu korrigieren
- Auffällige Lautbildungen, die unverständlich sind
- Monotone Sprechweise, ungewöhnliche Betonungen
- Grammatikfehler, geringer Wortschatz, Wortfindungsstörungen
- Fehlende Gliederung des Gesagten, um es verständlich auszudrücken
- Abschweifen von Redeinhalten
- Störungen der Aufmerksamkeit
- Störungen der Wahrnehmung und Verarbeitung des Gehörten
- Mangelnde Sprechkontrolle
- Fehlendes oder mangelndes Bewusstsein der vorhandenen Redeflussstörung (Betroffene bemerken oft nicht, dass die Gesprächspartnerin/der Gesprächspartner sie nicht verstehen )
- Sprechangst tritt hingegen in der Regel nur bei einer Kombination von Poltern und Stottern auf
- Holpriger Wechsel zwischen Zuhören und Sprechen in einem Dialog
- Lese-/Rechtschreibschwäche
Hinweis
Die genannten Symptome können auch teilweise bei anderen Störungen des Sprechens auftreten. Auch organische Erkrankungen kommen als Ursache infrage. Daher sollten die Beschwerden gründlich abgeklärt werden.
Für die Diagnosestellung von Poltern sollte mindestens eines der folgenden Kernsymptome vorliegen:
- hohes und/oder ungewöhnliches Sprechtempo,
- auffällige Lautbildung, undeutliches Sprechen,
- Auffälligkeiten der Sprachinhalte.
Diagnosestellung
Die Diagnose erfolgt durch eine Fachärztin/einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Phoniatrie sowie durch Logopädinnen/Logopäden. Die kindliche Entwicklung sowie die Krankengeschichte (Anamnese) werden erfragt. Dafür steht auch ein spezieller Anamnesefragebogen zu Verfügung (nach Sick). Ein erstes Screening auf Poltern kann etwa durch das Predictive Cluttering Inventory (PCI) erfolgen. Es wird empfohlen, Sprechproben mittels Audio- und Videoaufnahmen zu erheben. Mindestens zehn Minuten lang sollte die Patientin/der Patient spontan sprechen, zudem etwas laut vorlesen sowie nacherzählen und einen Text aufschreiben. Weiters kommt die sogenannte Fluency Assessment Battery zur Anwendung. Dabei erfolgen spezielle Messungen der Sprache sowie die Erfassung von Wahrnehmung und Gefühlen. Poltern wird im ICD-10 mit der Nummer F98.6 kodiert. Es ist wichtig, Poltern von Stottern abzugrenzen, wobei es auch Mischformen gibt.
Das sogenannte ICF-Modell bietet eine gute Grundlage für Diagnosestellung sowie Behandlungsplanung. Es bezieht Körperfunktionen und -strukturen (z.B. Sprechflüssigkeit, -geschwindigkeit etc.), Lesen, Schreiben sowie Umweltfaktoren (Familie, Schule) und die Persönlichkeit mit ein.
Wie erfolgt die Behandlung von Poltern?
Die Therapie orientiert sich an der individuellen Situation und kombiniert meist verschiedene Behandlungsansätze. Sie zielt auf eine Verbesserung der Deutlichkeit von Lautbildung und Silbenaussprache, der Kontrolle des Sprechtempos und der Verbesserung der sprachlichen Gestaltung. Die Sprechflüssigkeit verbessert sich infolge dieser Maßnahmen in der Regel von selbst. Auch die Reduzierung einer möglichen Belastung durch das Poltern und Auswirkungen auf Psyche, soziales Leben, Lebensqualität und -aktivität sind wesentlich. Es werden persönliche Therapieziele definiert. Betroffene bzw. die Eltern/Erziehungsberechtigen werden über das Poltern, die Therapie, Rückfälle und deren Bewältigung ausführlich informiert und beraten. Es ist wichtig, zu Hause und in der Lebensumgebung (z.B. Schule) üben zu können.
Zur Therapie zählen:
- Das direkte Arbeiten am Poltern durch verschiedene Verfahren – vor allem mittels Logopädie. Dabei wird an der Sprechweise der Betroffenen gearbeitet und/oder an einem konkreten Ereignis. Zum Beispiel die Gedanken langsamer und konzentriert auszudrücken. Dies geschieht etwa durch Atemtechnik, Rollenspiele, Lesetraining, Nacherzählungen, Ausdruckshilfe durch Gestik/Mimik etc. Besonders bewährt haben sich sogenannte Fluency-Shaping-Strategien zur Veränderung des Sprechens und die Modifikation gepolterter Sprechanteile.
- Auch Audio- und Videotechnik kann zur Analyse eingesetzt werden. Zudem werden Begleitsymptome behandelt: Änderung der Einstellung zum Sprechen, verschiedene Verhaltensänderungen, Selbstbewertung etc.
- Behandlung eventuell zugrunde liegender Erkrankungen oder Störungen: z.B. Entwicklungsverzögerungen, neurologische Erkrankungen.
- Miteinbeziehen des Umfeldes: Für die Therapie bzw. Entwicklung ist das soziale Umfeld (Eltern, Erziehungsberechtigte, Schule etc.) wesentlich. Neben Beratung und Anleitung kommt dem Üben zu Hause Bedeutung zu. Auch ist das Umsetzen des „Erarbeiteten“ in Alltagssituationen Teil der Therapie.
- Selbsthilfe.
Wohin kann ich mich wenden?
Ansprechstellen sind – je nach Alter der Betroffenen und gesundheitlicher Situation – vor allem:
- Fachärztin/Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde
- Fachärztin/Facharzt für HNO (Spezialisierung Phoniatrie)
- Logopädin/Logopäde
Die Hausärztin/der Hausarzt kann Untersuchungen veranlassen und Überweisungen in die Wege leiten. In den Diagnose- und Therapieprozess können zudem involviert sein:
- Neurologin/Neurologe
- (Kinder-)Psychiaterin/(Kinder-)Psychiater
- Klinische Psychologin/klinischer Psychologe
- Psychotherapeutin/Psychotherapeut
Diagnose und Behandlung erfolgen teils in speziellen Abteilungen von Kliniken, z.B. für Phoniatrie-Logopädie sowie Hör-, Stimm- und Sprachstörungen.
Wie erfolgt die Abdeckung der Kosten?
Die Kosten des Besuches bei einer Ärztin/einem Arzt zur Abklärung sowie Therapiemaßnahmen werden normalerweise von den Sozialversicherungsträgern übernommen.
Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.
Letzte Aktualisierung: 30. April 2018
Erstellt durch: Redaktion Gesundheitsportal
Expertenprüfung durch: Verband der LogopädInnen für Oberösterreich