Epilepsie: Was ist das?
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Wie häufig ist Epilepsie?
Epileptische Anfälle und Epilepsien kommen in allen Völkern, Kulturen und sozialen Schichten vor. So litten viele prominente Persönlichkeiten, z.B. Napoleon, Charles Dickens oder Vincent van Gogh an Epilepsie.
Zehn von 100 Personen erleiden einmal im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall. Doch nicht jeder Anfall bedeutet automatisch, dass es zu weiteren kommt und die/der Betroffene an Epilepsie leidet. Etwa fünf bis zehn von 1.000 Personen erkranken im Laufe ihres Lebens an Epilepsie. Grundsätzlich kann Epilepsie in jedem Alter auftreten. Am häufigsten erkranken jedoch Kleinkinder und Personen nach dem 60. Lebensjahr erstmals an Epilepsie.
Welche Ursachen hat Epilepsie?
Epileptische Anfälle können die unterschiedlichsten Ursachen haben. Prinzipiell kann jeder Mensch unter bestimmten Umständen einen epileptischen Anfall erleiden. So können Schlafmangel, Unterzucker, bestimmte Medikamente oder auch Alkohol- oder Drogenentzug solche Anfälle auslösen. Ebenso kommt eine akute Erkrankung des Gehirns (Tumore, Entzündungen, Verletzungen, Schlaganfall etc.) als Auslöser für einen epileptischen Anfall infrage. Auch hohes Fieber kann, vor allem bei kleinen Kindern, zu Krämpfen führen. Etwa drei bis fünf von 100 Kindern erleben bis zu ihrem 5. Geburtstag einen derartigen Fieberkrampf. In den allermeisten Fällen bleibt es bei diesem einmaligen Ereignis: Nur drei bis sechs Prozent dieser Kinder entwickeln im weiteren Verlauf eine Epilepsie. Liegt ein derartiger, erkennbarer Auslöser vor, sprechen Fachleute von „Provozierten oder akut symptomatischen Anfällen“.
Provozierte oder akut symptomatische epileptische Anfälle
Diese Anfälle haben meist eine günstige Prognose. Bei Behebung, Wegfall oder Vermeidung der auslösenden Ursache treten in den meisten Fällen keine weiteren Anfälle auf und es liegt keine Epilepsie vor. Deshalb muss hier zumeist keine längerfristige medikamentöse Therapie begonnen werden.
Unprovozierte epileptische Anfälle
Anders sieht es aus, wenn ein Anfall ohne erkennbaren Auslöser, also unprovoziert, auftritt. Rund ein Drittel der Personen, die einen unprovozierten Anfall erlitten haben, werden innerhalb von fünf Jahren einen weiteren erleiden.
Im Allgemeinen stellen Ärztinnen/Ärzte die Diagnose Epilepsie erst dann, wenn mehrfach solche Anfälle ohne erkennbaren Auslöser aufgetreten sind. Manchmal sprechen sie aber auch schon nach einem einmaligen, unprovozierten Anfall von Epilepsie. Das ist dann der Fall, wenn sich im EEG (Elektroenzephalografie) oder Magnetresonanztomografie (MRT) Hinweise für eine erhöhte Anfallsbereitschaft (Epileptogenität) finden.
Bei manchen Personen mit einer erhöhten Anfallsbereitschaft können epileptische Anfälle durch verschiedene Umstände und Reize, wie beispielsweise Flackerlicht (Diskothek), zu wenig Schlaf, bestimmte Geräusche, Alkohol, hohes Fieber oder bestimmte Medikamente, (z.B. Penicillin, Neuroleptika) ausgelöst werden.
Eine erhöhte Anfälligkeit für epileptische Anfälle kann verschiedenste Ursachen haben:
Genetische Ursachen
Manchmal besteht eine ererbte Neigung für epileptische Anfälle. Das heißt, die Anfälle werden durch einen (oder auch mehrere) bekannte oder vermutete genetische Defekte verursacht. Eine genetisch bedingte Epilepsie macht sich meistens schon in der frühen Kindheit bemerkbar.
Strukturelle oder stoffwechselbedingte Ursachen
Unterschiedliche Hirnerkrankungen bzw. -schädigungen können eine Epilepsie verursachen. Zu diesen zählen beispielsweise:
- Angeborene Fehlbildungen des Gehirns (z.B. fokale kortikale Dysplasie),
- Schädigungen, die während der Schwangerschaft oder Geburt entstanden sind (z.B. infolge von Sauerstoffmangel),
- komplizierte Fieberkrämpfe,
- Infektionen des Gehirns: Bleibende Schäden des Gehirns nach durchgemachten Infektionen sind weltweit eine der häufigsten Ursachen von Epilepsie,
- Hirnverletzungen
- Gehirntumoren,
- Schlaganfälle: Betroffene haben v.a. im ersten Jahr nach dem Schlaganfall ein erhöhtes Risiko,
- Alzheimer und Demenz,
- .Stoffwechselerkrankungen.
Oft besteht eine Kombination aus genetischen und strukturellen Ursachen.
Epilepsien unbekannter Ursache
Bei bis zu 20 Prozent der Betroffenen kann, trotz aller diagnostischen Bemühungen, keine definitive Ursache für die Epilepsie gefunden werden. Man spricht dann von einer Epilepsie unbekannter Ursache.
Welche Formen von epileptischen Anfällen gibt es?
Je nachdem ob die Nervenzellen in beiden Hirnhälften oder nur in einzelnen Hirnbereichen überaktiv sind, wird zwischen fokalen und generalisierten Anfällen unterschieden. Je nach Art des Anfalls erfolgt die Therapie.
Fokale Anfälle
Ca. 2/3 der Anfälle entstehen in einem bestimmten Bereich im Gehirn und werden deshalb als fokale Anfälle bezeichnet. Beispielsweise kann ein epileptischer Anfall von einer Narbe im Gehirn ausgehen, die durch eine Verletzung, Entzündung oder einen Schlaganfall verursacht wurde. Bei einem fokalen Anfall können die Betroffenen bei erhaltenem (vollem) Bewusstsein (früher „einfacher fokaler Anfall“), aber auch bei eingeschränktem Bewusstsein (früher „komplexer fokaler Anfall“) sein. Es kann dabei u.a. zu folgenden Phänomenen kommen:
- Auren: Eine Aura stellt die mildeste Art eines fokalen Anfalls dar. Sie dauert nur wenige Sekunden, kann das einzige Symptom eines Anfalls sein aber auch andere Anfallsformen einleiten. Dabei bemerken die Betroffenen Veränderungen der Wahrnehmung, wie beispielsweise ein komisches aufsteigendes Gefühl aus der Magengegend (epigastrische Auren), ein unbegründetes Angstgefühl, ein Vertrautheits- oder Fremdheitsgefühl (das gerade Erlebte wird als ungewöhnlich vertraut (deja vu) oder fremd (jamais vu) empfunden). Manchmal berichten die Betroffenen auch, dass sie Lichtblitze, bunte Punkte oder ein eingeschränktes Gesichtsfeld wahrgenommen haben. Andere hören nicht vorhandene Geräusche bzw. Melodien oder nehmen einen unangenehmen Geruch oder Geschmack wahr. Auch Schwindel oder Kribbeln bzw. Missempfindungen in einem Körperteil sind möglich.
- Zuckungen oder Verkrampfungen des Gesichts, der Arme oder Beine
- Einschränkung des Bewusstseins verbunden mit verminderter oder fehlender Kontaktierbarkeit oder Reaktionsfähigkeit. Manchmal starren die Betroffenen vor sich hin und wirken völlig emotionslos.
- Manche Betroffene legen merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag: Nesteln, Schmatzen, Schlucken, Kaubewegungen (Automatismen), zielloses Herumlaufen.
- Manche werden aggressiv und fallen durch plötzliches wildes Herumschlagen und Schreien auf.
Manchmal breiten sich die epileptischen Entladungen auf das gesamte Gehirn aus. Dann kann sich aus einem fokalen ein bilateral tonisch-klonischer Anfall (früher sekundär generalisierter Anfall) entwickeln.
Generalisierte Anfälle
Bei etwa einem Drittel der Anfälle handelt es sich um generalisierte Anfälle. Dabei erfasst die epileptische Aktivität von Beginn an Nervenzellverbände in beiden Hirnhälften gleichzeitig. Typisch ist, dass es bei dieser Art von Anfällen praktisch immer zu einer Störung des Bewusstseins kommt. Auch diese Anfälle können ganz unterschiedlich ablaufen:
- Absencen: Diese äußern sich in einer kurzen, lediglich wenige Sekunden dauernden Bewusstseinspause. Die Betroffenen unterbrechen plötzlich ihre Tätigkeit, starren regungslos vor sich hin und reagieren nicht auf die Umgebung. Danach machen sie weiter als, ob nichts geschehen wäre. Von dieser Epilepsieart sind v.a. Kinder und Jugendliche betroffen. Manchmal können die Absencen bis zu 100-mal am Tag auftreten.
- Myoklonische Anfälle: Sie bestehen in einem kurzen Zucken der Arme, seltener der Beine oder des Gesichts – als würde man erschrecken. Manche Betroffene bemerken beispielsweise nur, dass ihnen immer wieder versehentlich Dinge aus der Hand fallen.
- Tonische Anfälle: Sie sind durch kurze, wenige Sekunden anhaltende Verkrampfungen der Arme, der Beine, des Gesichts und des Rumpfes gekennzeichnet. Diese Anfälle führen oft zu Stürzen mit entsprechenden Verletzungen.
- Atonische Anfälle: Sie führen zu einem plötzlichen, kurzen Verlust der Muskelspannung, wodurch die/der Betroffene ebenfalls stürzen kann.
- Generalisierte tonisch-klonische Anfälle: Beim sogenannten großen Krampfanfall (veralteter Begriff „Grand-Mal“) wird die/der Betroffene abrupt bewusstlos, manchmal stößt sie/er auch einen plötzlichen Schrei aus. Meist stürzen die Betroffenen. Dann wird für ca. eine Minute der gesamte Körper steif (tonische Phase), gefolgt von der klonischen Phase in der der ganze Körper für ca. ein bis zwei Minuten krampft. Es kann vorkommen, dass sich die Betroffenen in die Zunge oder Wangen beißen. Manchmal fließt schaumiger, mitunter auch blutiger Speichel aus dem Mund oder es kommt zu unwillkürlichem Harn- oder Stuhlverlust. Nach dem Anfall fallen die Betroffenen zunächst in einen tiefen Schlaf, wirken nach dem Erwachen verwirrt und klagen oft über Kopf- und Muskelschmerzen – ähnlich einem Muskelkater. Meistens können sie sich nicht an den Anfall erinnern.
Spezielle Epilepsiesyndrome bei Kindern und Jugendlichen
Etwa 0,5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden an Epilepsie. Die häufigsten Ursachen sind genetischer Natur oder aufgrund einer Unterversorgung mit Sauerstoff während der Schwangerschaft oder Geburt. Bei Säuglingen und kleinen Kindern sind die Anfälle oft schwer als solche zu erkennen. Sie können sich durch Zuckungen, Schmatzen, Kauen, Armrudern oder auch nur Augenbewegungen bemerkbar machen. Mitunter werden diese als Unaufmerksamkeit oder „Tagträume“ fehlgedeutet. Bei vielen Kindern verschwinden die Anfälle mit dem Älterwerden (z.B. Absencen-Epilepsie des Kindesalters). Weitere Informationen unter Epilepsie bei Kindern: Formen und Behandlung (gesundheitsinformation.de)
Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.
Letzte Aktualisierung: 30. Juni 2021
Erstellt durch: Redaktion Gesundheitsportal
Expertenprüfung durch: Priv.-Doz.in Dr.in Ekaterina Pataraia, Fachärztin für Neurologie