Gutartiger Lagerungsschwindel
Inhaltsverzeichnis
Wie häufig ist der gutartige Lagerungsschwindel?
Der gutartige Lagerungsschwindel tritt bei rund zwei von 100 Personen im Laufe ihres Lebens auf. Personen zwischen 50 und 60 Jahren sind am häufigsten betroffen. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer.
Auslöser der Beschwerden ist eine Störung des Gleichgewichtsorgans.
Welche Aufgabe hat das Gleichgewichtsorgan?
Das Gleichgewichtsorgan hat die Aufgabe, Lageänderungen und Beschleunigungen des Körpers zu erfassen und diese Information an das Gehirn weiterzuleiten. So dient es – zusammen mit anderen Organen - der Orientierung im Raum und der Steuerung des Gleichgewichtes.
Das Gleichgewichtsorgan befindet sich im rechten und im linken Innenohr im sogenannten Felsenbein. Es besteht jeweils aus:
- drei Bogengängen: Es gibt jeweils einen hinteren, einen vorderen und einen horizontalen Bogengang. Sie stehen senkrecht aufeinander und sind mit einer Flüssigkeit gefüllt. Jeder Bogengang mündet in eine knöcherne Ausbuchtung, eine sogenannte Ampulle.
- zwei Vorhofsäckchen: diese werden als Sacculus und Utriculus bezeichnet
In den Bogengängen und in den Vorhofsäckchen gibt es Sinnesfelder, auf denen feine Sinneshärchen liegen. Die Sinneshärchen nehmen verschiedene Bewegungen des Körpers wahr:
- In den Bogengängen werden Drehbewegungen des Kopfes registriert, z.B. Nicken mit dem Kopf, Kopfschütteln oder ein seitliches Neigen des Kopfes. Das funktioniert so: Wenn sich der Kopf bewegt, bewegt sich auch die Flüssigkeit in den Bogengängen. Durch die Flüssigkeitsbewegung werden die Sinneshärchen ausgelenkt bzw. umgebogen. Dies löst in den Sinneshärchen einen Reiz aus, und sie geben die Information über die jeweilige Bewegung als Nervensignal an das Gehirn weiter. Jeder Bogengang registriert eine bestimmte Bewegungsrichtung des Kopfes.
- In den Vorhofsäckchen werden Geschwindigkeitsänderungen in gerader Richtung registriert, wie etwa die Beschleunigung und das Abbremsen beim Autofahren oder das Auf- und Abfahren mit dem Lift. Die Sinneshärchen der Vorhofsäckchen liegen in einer gelartigen Schicht, der Otolithenmembran. Diese Membran enthält kleine Kristalle aus mineralischem Material, sogenannte Otolithen. Wenn sich der Kopf bewegt, bewegt sich auch die Otolithenmembran, und in der Folge bewegen sich auch die Sinneshärchen. Sie werden umgebogen, es entsteht ein Reiz, und die Information über die Bewegung wird an das Gehirn weitergeleitet.
Die Sinneswahrnehmungen des Gleichgewichtsorgans werden im Gehirn zusammen mit anderen Sinneseindrücken, z.B. denen der Augen, verarbeitet.
Welche Ursachen hat der gutartige Lagerungsschwindel?
Ursache des gutartigen Lagerungsschwindels sind in der Regel winzige Kristallpartikel, die sich durch das Gleichgewichtsorgan bewegen. Fachleute bezeichnen diese Kristallpartikel als Otolithen.
Otolithen sind normalerweise in den Vorhofsäckchen des Gleichgewichtsorgans in einer Membran eingebettet. Wenn sie sich aus der Membran loslösen, treiben die winzigen Kristalle in der Flüssigkeit der Bogengänge. Bei Bewegungen des Kopfes bewegen sie sich mit der Flüssigkeit mit. Auch nachdem die Kopfbewegung beendet wurde, bewegen sich die Kristalle noch kurze Zeit weiter. Dadurch führen sie zu einer fehlerhaften Aktivierung der Sinneshärchen, sodass diese eine Falschinformation an das Gehirn senden. Es entsteht der Eindruck, als würde sich der Kopf immer noch bewegen. Diese Information stimmt mit anderen Sinneseindrücken, z.B. denen der Augen, nicht überein. Die widersprüchlichen Informationen lösen Schwindel aus.
Bei den meisten Betroffenen ist nicht bekannt, warum sich die Kristalle aus der Membran lösen. Manchmal ist eine Verletzung dafür verantwortlich, z.B. ein Schleudertrauma oder ein Schädel-Hirn-Trauma.
Weitere Ursachen
Seltener tritt der gutartige Lagerungsschwindel als Folge anderer Erkrankungen auf, z.B.:
- Morbus Meniere
- Entzündungen im Innenohr
- Durchblutungsstörungen im Innenohr
- Herpes Zoster Oticus, d.h. eine Entzündung des Ohres durch Herpes-Zoster-Viren
- nach Operationen im Ohr oder in der Kieferhöhle
In manchen Fällen kann das Gefäßsystem eine Rolle bei der Entstehung eines gutartigen Lagerungsschwindels spielen. Auch Osteoporose, eine Erkrankung des Knochenstoffwechsels, könnte die Entwicklung dieser Krankheit begünstigen. Ein Vitamin-D-Mangel scheint ein Risikofaktor für das wiederholte Auftreten der Beschwerden darzustellen. Diese Theorien sind aber nicht ausreichend wissenschaftlich abgesichert.
Welche Symptome können bei einem gutartigen Lagerungsschwindel auftreten?
Typisches Anzeichen sind plötzlich auftretende Schwindelanfälle nach bestimmten Kopfbewegungen. Die Betroffenen haben das Gefühl, dass sich alles um sie herum dreht. Fachleute bezeichnen diese Art von Schwindel als Drehschwindel. Der Schwindel wird zunächst immer stärker, schon nach kurzer Zeit wird er aber wieder schwächer und verschwindet vollständig. Der Schwindelanfall dauert in der Regel weniger als eine Minute, manchmal kann er auch ein paar Minuten anhalten.
Während des Schwindelanfalles kommt es oft zusätzlich zu
- Übelkeit,
- Erbrechen,
- Sehstörung: Die Betroffenen nehmen die Umgebung als zitternd oder verwackelt wahr. Dies kommt durch unwillkürliche, ruckartige Bewegungen des Augapfels zustande, die zusammen mit dem Schwindel auftreten können. Fachleute bezeichnen diese Augenbewegungen als Nystagmus.
Welche Kopfbewegung den Schwindel auslöst, hängt davon ab, wo im Gleichgewichtsorgan die frei beweglichen Kristalle liegen. Auslösende Bewegungen für einen Schwindelanfall sind z.B.:
- Drehen des Körpers beim Liegen im Bett
- schnelles Hinlegen oder Aufstehen aus dem Bett
- rasche Kopfdrehung, vor allem den Kopf in den Nacken legen bzw. nach oben schauen
- Bücken
Hinweis
Typisch für den gutartigen Lagerungsschwindel ist, dass der Schwindelanfall durch die Bewegung des Kopfes in eine bestimmte Position ausgelöst wird. Wird der Kopf ruhig gehalten – egal in welcher Position - klingen die Beschwerden wieder ab.
Durch die plötzlichen Schwindelanfälle besteht erhöhte Sturzgefahr, insbesondere für ältere Personen. Dies erhöht das Risiko für Verletzungen. Personen mit gutartigem Lagerungsschwindel sind zudem oft in ihrem Alltag eingeschränkt, was auch eine psychische Belastung darstellen kann.
Wie wird die Diagnose des gutartigen Lagerungsschwindels gestellt?
Die Ärztin bzw. der Arzt kann die Verdachtsdiagnose oft schon durch eine genaue Anamnese stellen. Schwindel ist jedoch ein sehr häufiges Symptom. Es gibt verschiedene Formen von Schwindel und zahlreiche mögliche Ursachen. Zum Beispiel: Störungen des Blutdruckes, Erkrankungen der Augen, Schädigungen des Hirnstammes oder des Kleinhirns sowie unerwünschte Wirkungen von Medikamenten.
Mithilfe spezieller Lagerungsproben kann die Ärztin bzw. der Arzt den gutartigen Lagerungsschwindel meist gut von anderen Schwindelformen unterscheiden. Bei einer Lagerungsprobe führt die Patientin bzw. der Patient mit ärztlicher Anleitung und Unterstützung festgelegte Bewegungen mit Kopf und Rumpf durch. Wenn dadurch die typischen Schwindelanfälle ausgelöst werden, kann die Diagnose des gutartigen Lagerungsschwindels gestellt werden. Die Ärztin bzw. der Arzt achtet auch darauf, ob während der Untersuchung die typischen ruckartigen Augenbewegungen auftreten. Die Patientin bzw. der Patient muss daher während der Untersuchung eventuell eine spezielle Brille - sogenannte Frenzelbrille - tragen, mit der sich die Augenbewegungen besser beurteilen lassen.
Es gibt verschiedene Lagerungsproben. Je nachdem durch welche Lagerungsprobe der Schwindel ausgelöst wird, kann die Ärztin bzw. der Arzt auch feststellen, wo im Gleichgewichtsorgan die Kristalle liegen.
Hinweis
Es ist möglich, dass die Beschwerden abklingen, wenn die Lagerungsprobe mehrmals durchgeführt wird. Dies liegt daran, dass die Kristalle dabei unter Umständen aus den Bogengängen hinausbewegt werden und keine Beschwerden mehr auslösen. Die Lagerungsproben haben dadurch auch eine therapeutische Funktion.
Ergänzend führt die Ärztin bzw. der Arzt meist auch eine neurologische Untersuchung durch, um neurologische Erkrankungen auszuschließen.
Bei unklaren Untersuchungsergebnissen oder wenn die Ärztin bzw. der Arzt eine andere Ursache für den Schwindel vermutet, können weitere Untersuchungen notwendig sein, z.B. Ultraschalluntersuchung von Blutgefäßen, CT oder MRT.
Wie erfolgt die Behandlung des gutartigen Lagerungsschwindels?
Bei einem gutartigen Lagerungsschwindel ist eine Behandlung nicht unbedingt erforderlich. Die Schwindelanfälle klingen in der Regel von selbst ab, meist innerhalb einiger Tage bis Wochen. Eine Studie geht davon aus, dass die Beschwerden durchschnittlich 39 Tage andauern, wenn keine Behandlung erfolgt.
Lagerungsmanöver
Der gutartige Lagerungsschwindel kann in den meisten Fällen mit sogenannten Lagerungsmanövern behandelt werden. Zweck dieser Manöver ist es, die Kristalle mit gezielten Bewegungen aus dem Bogengang hinauszubefördern, sodass sie sich im Vorhofsäckchen festsetzen. Sie lösen dann keine Schwindelanfälle mehr aus.
Die Lagerungsmanöver funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie die Lagerungsproben zur Diagnosestellung: Die Patientin bzw. der Patient führt mit ärztlicher Anleitung und Unterstützung bestimmte Bewegungsabfolgen durch. Welche Bewegungsabfolgen angewandt werden, hängt davon ab, in welchem Bogengang die Kristalle liegen. Oft kommt das sogenannte Epley-Manöver oder das Semont-Manöver zum Einsatz.
Studien haben gezeigt, dass diese Lagerungsmanöver sehr effizient sind. Bei vielen Betroffenen bessern sich die Schwindelanfälle schon nach einer einzelnen Behandlung. Ist dies nicht der Fall oder treten sie erneut auf, kann das Manöver wiederholt werden. Nur selten sind mehr als drei Sitzungen erforderlich. Es gibt auch Lagerungsmanöver, die die Patientin bzw. der Patient selbst zu Hause durchführen kann.
Nach erfolgreicher Behandlung kann manchmal für zwei bis drei Wochen ein leichter Schwankschwindel mit Gleichgewichtsstörung bestehen bleiben. Ältere Personen und Personen, bei denen der Lagerungsschwindel vor der Behandlung schon länger als eine Woche bestanden hat, sind davon häufiger betroffen.
Die Lagerungsmanöver sind ungefährlich, es treten keine ernsthaften Nebenwirkungen auf. Für die Betroffenen kann die Durchführung aber unangenehm sein, denn es können Schwindelgefühl sowie Übelkeit und Erbrechen ausgelöst werden. In manchen Fällen verabreicht die Ärztin bzw. der Arzt daher vor der Behandlung ein Medikament, das gegen Übelkeit hilft.
Hinweis
Ein spontanes Wiederauftreten der Schwindelanfälle ist relativ häufig, sowohl bei Personen nach erfolgreicher Behandlung als auch bei Personen ohne Behandlung. Studien berichten, dass die Beschwerden bei 33 bis 35 von 100 Personen innerhalb von fünf Jahren wiederkehren.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Neben den Lagerungsmanövern kommen beim gutartigen Lagerungsschwindel nur selten andere Behandlungen zur Anwendung. Bei schweren Schwindelanfällen kann die Ärztin bzw. der Arzt unter Umständen Medikamente verschreiben, die den Schwindel unterdrücken. Fachleute empfehlen Medikamente aber nicht routinemäßig für die Behandlung des gutartigen Lagerungsschwindels.
Wenn sich die Schwindelanfälle nicht beheben lassen und die Patientin bzw. der Patient im Alltag stark beeinträchtigt ist, kann eine Operation infrage kommen. Dies kommt bei weniger als einem Prozent der Betroffenen vor. Es gibt unterschiedliche chirurgische Behandlungsmöglichkeiten. Zum Beispiel: Die Nervenversorgung des betroffenen Bogenganges kann unterbrochen werden, oder der Bogengang wird chirurgisch verschlossen. Die Sinneszellen können nach einem solchen Eingriff keine Information mehr an das Gehirn weitergeben. Das Gleichgewichtsorgan im betroffenen Ohr ist jedoch dauerhaft eingeschränkt.
Was kann ich selbst tun?
Personen mit gutartigem Lagerungsschwindel können bestimmte Lagerungsmanöver auch selbst zu Hause durchführen. Diese Manöver funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie die ärztlich durchgeführten Manöver. Sie wurden aber speziell für die Selbstbehandlung entwickelt.
Die Ärztin bzw. der Arzt informiert darüber, welches Manöver individuell geeignet ist. Sie oder er zeigt der Patientin bzw. dem Patienten, wie das Manöver funktioniert, das heißt, welche Bewegungen in welcher Abfolge ausgeführt werden müssen. Zudem gibt es Bildmaterial und Video-Anleitungen, die bei der korrekten Durchführung zu Hause unterstützen.
Die Lagerungsmanöver zur Selbstbehandlung können helfen, wenn sich die Schwindelanfälle nach der Behandlung nicht sofort zurückbilden oder wenn die Schwindelanfälle wiederkehren. Die Manöver sollen mehrmals täglich durchgeführt werden, bis die Beschwerden abklingen. Es ist nicht notwendig, die Manöver bei Beschwerdefreiheit weiter durchzuführen, denn sie können einem erneuten Auftreten der Schwindelanfälle nicht vorbeugen.
Hinweis
Studien zeigen, dass die Selbstbehandlung bei 65 bis 90 von 100 Personen hilfreich ist. Es ist jedoch wichtig, dass Betroffene nur das von der Ärztin bzw. dem Arzt empfohlene Lagerungsmanöver anwenden. Dieses ist darauf abgestimmt, wo sich die Kristalle angesammelt haben. Wird ein falsches Manöver angewandt, bessern sich die Beschwerden nicht oder können sich sogar verschlechtern.
Wohin kann ich mich wenden?
Die Diagnose und Behandlung des gutartigen Lagerungsschwindels erfolgt durch eine Ärztin bzw. einen Arzt für Allgemeinmedizin oder durch eine Fachärztin bzw. einen Facharzt für HNO-Heilkunde.
Bei plötzlichem Auftreten eines starken, anhaltenden Drehschwindels können Sie sich an folgende Stellen wenden:
- Telefonische Gesundheitsberatung 1450 (rund um die Uhr erreichbar)
- Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt
- die nächste Spitalsambulanz
Wie erfolgt die Abdeckung der Kosten?
Die e-card ist Ihr persönlicher Schlüssel zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Alle notwendigen und zweckmäßigen Diagnose- und Therapiemaßnahmen werden von Ihrem zuständigen Sozialversicherungsträger übernommen. Bei bestimmten Leistungen kann ein Selbstbehalt oder Kostenbeitrag anfallen. Detaillierte Informationen erhalten Sie bei Ihrem Sozialversicherungsträger.
Weitere Informationen finden Sie außerdem unter:
- Recht auf Behandlung
- Arztbesuch: Kosten und Selbstbehalte
- Rezeptgebühr: So werden Medikamentenkosten abgedeckt
- Heilbehelfe & Hilfsmittel
- Gesundheitsberufe A-Z
sowie über die Online-Services und Formulare der Sozialversicherung.
Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.
Letzte Aktualisierung: 12. Dezember 2024
Erstellt durch: Redaktion Gesundheitsportal
Expertenprüfung durch: Univ.-Prof. Prim. Dr. Martin Burian, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde