Akute Leukämien: Therapie
Inhaltsverzeichnis
Die Therapie der akuten Leukämien wird in mehrere Phasen eingeteilt.
Was ist eine Vorphasetherapie?
Im Zuge der Leukämiebehandlungen sollen in relativ kurzer Zeit sehr viele Krebszellen zerstört werden. Dabei besteht das Risiko eines sogenannten Tumorlyse-Syndroms: Der Zerfall vieler krankhafter Zellen innerhalb kürzester Zeit kann u.a. schwere Blutungen, Stoffwechselentgleisungen oder Schädigungen von Organen nach sich ziehen. Um diese Komplikationen zu vermeiden, wird manchmal als erster Schritt eine einwöchige Chemotherapie durchgeführt. Dadurch sollen bereits erste Leukämiezellen zerstört und der Körper schrittweise auf die darauf folgende intensive Therapiephase vorbereitet werden.
Was ist eine Induktionstherapie?
Dies ist die erste intensive Phase der Behandlung. Der Großteil der Leukämiezellen soll zerstört und ein Fortschreiten der Erkrankung verhindert werden. Zu diesem Zwecke wird eine intensive Chemotherapie eingeleitet. Verschiedene sogenannte Zytostatika werden dabei miteinander kombiniert; dies sind Wirkstoffe, die die Zellteilung von Krebszellen verhindern und damit die Ausbreitung der Erkrankung aufhalten können. Die Chemotherapie wird in Form von Tabletten oder als Infusion in die Vene verabreicht. Die Behandlungen finden in dieser Phase stationär statt, über einen festgelegten Zeitraum (meist mehrere Wochen) werden die Zytostatika wiederholt verabreicht.
Zytostatika richten sich nicht gezielt gegen Krebszellen, sie können auch gesunde Zellen im Körper schädigen. So greifen sie nicht nur die Leukämiezellen, sondern auch andere Zellen des blutbildenden Systems an. Die normale Blutbildung wird während der Behandlung stark beeinträchtigt oder fällt sogar vollständig aus (sogenannte Aplasie). In dieser Zeit sind die Betroffenen extrem anfällig für Infektionen und weisen eine Blutarmut sowie eine stark erhöhte Blutungsneigung auf. Weitere mögliche unerwünschte Nebenwirkungen sind z.B. Übelkeit und Erbrechen, Appetitlosigkeit, Haarausfall oder starke Müdigkeit. Mehr zum Thema: Krebs: Therapie
Zusätzlich zur Chemotherapie sind intensive unterstützende Behandlungen nötig, wie z.B. antibiotische Therapien zur Behandlung oder Vorbeugung von Infekten sowie der Einsatz von Blutprodukten. Mehr zum Thema: Bluttransfusion
Akute lymphatische Leukämie (ALL)
Bei der ALL besteht ein erhöhtes Risiko dafür, dass sich Leukämiezellen auch in Gehirn bzw. zentralem Nervensystem ansiedeln. Die Chemotherapie wird bei der ALL daher nicht nur in die Vene, sondern auch direkt in die Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor) verabreicht. Dies erfolgt im Rahmen wiederholter Lumbalpunktionen. Zudem erhalten Patientinnen/Patienten mit ALL zusätzlich eine Strahlentherapie, die ebenfalls dazu beitragen soll, mögliche Absiedelungen im Nervensystem zu bekämpfen; in mehreren einzelnen Sitzungen werden dabei vor allem das Gehirn und das obere Rückenmark bestrahlt.
Zusätzlich stehen bei der ALL sogenannte zielgerichtete Therapien zur Verfügung. Diese Medikamente sind in der Lage, bestimmte Merkmale der Krebszellen zu erkennen und sie gezielt zu bekämpfen. Ob sie eingesetzt werden können und welche Wirkstoffe infrage kommen, hängt von molekulargenetischen Merkmalen der Leukämiezellen ab:
- Für eine Untergruppe der Betroffenen (CD20-positive ALL) gibt es Wirkstoffe aus dem Bereich der Immuntherapie (Antikörper).
- Für eine andere Patientengruppe stehen sogenannte Tyrosinkinase-Hemmer zur Verfügung. Diese werden bei Betroffenen eingesetzt, bei denen das sogenannte Philadelphia-Chromosom nachgewiesen werden kann. Dieses Chromosom führt dazu, dass ein neues Gen entsteht (BCR-ABL) und ein neues Protein gebildet wird (aus der Gruppe der Proteinkinasen). Der Einsatz der Tyrosinkinase-Hemmer hat die Prognose für diese Patientengruppe, die zuvor eher ungünstig war, erheblich verbessert. Das Philadelphia-Chromosom findet sich zudem typischerweise bei Patientinnen/Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie.
Mehr zum Thema: Therapie der chronischen Leukämien
Wie wird der Erfolg der Therapie beurteilt?
Zur Beurteilung des Therapieerfolges werden regelmäßige Kontrolluntersuchungen von Blut und Knochenmark durchgeführt. Das Behandlungsziel bei einer akuten Leukämie ist die sogenannte Remission, das bedeutet: Mit normalen Blut- und Knochenmarksuntersuchungen sind keine Leukämiezellen mehr nachweisbar (komplette Remission). Sind die Leukämiezellen noch nachweisbar, aber stark reduziert, spricht man von Teilremission.
- Bei der ALL kann nach der Induktionstherapie bei 80 bis 95 Prozent der Betroffenen eine komplette Remission erzielt werden.
- Bei der AML erreichen 60 bis 80 der Betroffenen nach vier bis sechs Wochen Behandlung eine komplette Remission.
Minimale Resterkrankung
Komplette Remission bedeutet, dass der prozentuale Anteil der Leukämiezellen im Blut und im Knochenmark auf unter fünf Prozent gesunken ist. Sie sind dann im Rahmen normaler Untersuchungsmethoden unter dem Mikroskop nicht mehr nachweisbar.
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Körper völlig frei von Leukämiezellen ist. Es besteht die Gefahr, dass einzelne krankhafte Zellen im Körper zurückbleiben, sich vermehren und zu einem Wiederauftreten (Rezidiv) der Leukämie führen. Solche einzelnen Zellen können nur mit speziellen molekularbiologischen Verfahren (z.B. PCR) nachgewiesen werden. Das Vorliegen einzelner Leukämiezellen wird als minimale Resterkrankung (minimal residual disease, MRD) bezeichnet. Sie ist ein wichtiges Maß für die Beurteilung des Therapieerfolges und die Wahrscheinlichkeit eines Krankheitsrückfalls.
Was ist eine Konsolidierungstherapie?
Dies ist die zweite Behandlungsphase, die sich direkt an die Induktionstherapie anschließt. Auch wenn mit der Induktionstherapie eine vollständige Remission erreicht werden konnte, ist ein Teil der Leukämiezellen meist noch im Körper vorhanden. Ohne weitere Behandlungen wäre die Gefahr eines Rezidives daher relativ hoch. Aus diesem Grund wird im Anschluss an die erste Behandlungsphase in möglichst kurzem zeitlichem Abstand mit weiteren intensiven Therapien begonnen, die über einen Zeitraum von einigen Monaten fortgeführt werden.
Sowohl bei der AML als auch bei der ALL werden erneute Chemotherapiezyklen verabreicht. Dabei werden andere Wirkstoffkombinationen als in der ersten Phase eingesetzt. So sollen auch Krebszellen, die durch die erste Chemotherapie möglicherweise nicht zerstört wurden, bekämpft werden.
Das weitere Vorgehen ist abhängig von der Art der Leukämie sowie den speziellen, individuellen Merkmalen der Krebszellen.
Akute myeloische Leukämie (AML)
Anhand der genetischen Merkmale wird die AML in verschiedene Risikogruppen eingeteilt, d.h. in solche mit günstiger, mittlerer oder ungünstiger Prognose. So ist z.B. bekannt, dass Patientinnen/Patienten mit bestimmten Mutationen in der DNA besonders gut auf eine Chemotherapie ansprechen; bei diesen Personen sind wiederholte Chemotherapiezyklen als alleinige Maßnahme sinnvoll. Ist aufgrund des Risikoprofils kein besonders guter Erfolg mit der Chemotherapie zu erwarten, wird wenn möglich zusätzlich eine Stammzelltransplantation durchgeführt. Dabei werden der Patientin/dem Patienten gesunde Stammzellen übertragen, mit deren Hilfe sich das blutbildende System wieder neu aufbauen kann. Zudem muss beurteilt werden, ob das Alter und der Allgemeinzustand der Patientin/des Patienten eine intensive Chemotherapie und Stammzelltransplantation zulassen. Zunehmend werden auch neue, zielgerichtete Medikamente (Antikörper, Inhibitoren) eingesetzt.
Mehr zum Thema: Stammzelltransplantation
Akute lymphatische Leukämie (ALL)
Wie die ALL weiter behandelt wird, ist abhängig davon, wie hoch das Risiko für einen Krankheitsrückfall ist:
- Besteht kein erhöhtes Risiko für einen Krankheitsrückfall, wird die begonnene Chemotherapie für etwa ein Jahr fortgeführt. Danach beginnt für die Patientinnen/Patienten die Phase der Erhaltungstherapie.
- Bei hohem Rückfallrisiko wird im Anschluss an die Induktionstherapie eine Stammzelltransplantation durchgeführt. Zu dieser Gruppe gehören auch Patientinnen/Patienten mit positivem Philadelphia-Chromosom.
Was bedeutet Erhaltungstherapie?
Bei der ALL gibt es eine dritte Behandlungsphase, die sogenannte Erhaltungstherapie. Patientinnen/Patienten mit einer ALL, die keine Stammzelltransplantation bekommen, erhalten auch nach vollständiger Remission über einen Zeitraum von etwa einem Jahr erneute Chemotherapiebehandlungen. Dies dient dazu, das Rückfallrisiko weiter zu senken. Die Behandlungen sind in dieser Phase weniger intensiv und können in der Regel ambulant erfolgen. Die Gesamtbehandlungsdauer der ALL beträgt dadurch insgesamt rund zwei Jahre. Eine vollständige, dauerhafte Heilung kann bei etwa 40 Prozent aller erwachsenen ALL-Patientinnen/Patienten erreicht werden.
Mehr zum Thema: Leukämie bei Kindern
Welche Nachsorgeuntersuchungen sind nötig?
Bei jeder Form der akuten Leukämie sind nach erfolgreicher Therapie regelmäßige Nachuntersuchungen wichtig. Dazu gehören unter anderem eine körperliche Untersuchung sowie Kontrollen von Blut- und Knochenmark, bei denen wiederholt die minimale Resterkrankung bestimmt wird. Innerhalb der ersten drei Jahre nach erfolgreicher Therapie ist das Rückfallrisiko am höchsten. In dieser Zeit finden die Nachsorgeuntersuchungen in kurzen zeitlichen Abständen statt. Je länger der Zustand der Remission andauert, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Leukämie dauerhaft geheilt ist, der Abstand zwischen den Kontrolluntersuchungen kann dann verlängert werden.
Was passiert bei einem Wiederauftreten der Leukämie?
Wenn eine akute Leukämie nach zunächst erfolgreicher Behandlung wieder auftritt, wird erneut eine Chemotherapie durchgeführt. Bei einem späteren Rezidiv kann wieder mit der Induktionstherapie begonnen werden, bei einem frühzeitigen Rückfall werden meist andere Wirkstoffkombinationen eingesetzt. Zudem wird geprüft, ob die Patientin/der Patient für eine Stammzelltransplantation infrage kommt; durch diese kann auch nach einem Rezidiv eine dauerhafte Heilung bewirkt werden.
Je nach Erkrankungstyp können auch zielgerichtete Medikamente und neue Zelltherapien (CAR-T) eingesetzt werden.
Was bedeuten Tumorboard und klinische Studie?
Leukämien sind keine einheitlichen Krankheitsbilder, zahlreiche Faktoren beeinflussen den Verlauf und die Ausprägung. Dementsprechend gibt es auch keine allgemeingültigen Behandlungsstrategien für alle Betroffenen; welche Therapie im Einzelfall am besten ist, wird individuell festgelegt. Daher werden im Rahmen der Betreuung und der Therapieplanung von Leukämien regelmäßig sogenannte Tumorboards abgehalten. Ein Tumorboard ist eine Art Konferenz, bei der Expertinnen/Experten verschiedener Fachrichtungen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gemeinsam die individuell beste Behandlungsstrategie für jede Patientin/jeden Patient festlegen.
Betroffene erhalten zudem unter Umständen die Möglichkeit, an einer klinischen Studie teilzunehmen. Dies bedeutet nicht, dass die Behandlung experimentell ist; klinische Studien ermöglichen es, Zugang zu den neuesten Behandlungsansätzen und Medikamenten zu erhalten. Die Teilnehmerinnen/Teilnehmer erhalten sehr intensive und engmaschige Betreuung und Verlaufskontrollen. Viele Patientinnen/Patienten mit Leukämie können davon enorm profitieren.
Die behandelnden Ärztinnen/Ärzte informieren individuell darüber, ob die Teilnahme an einer klinischen Studie möglich ist und wie diese abläuft.
Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.
Letzte Aktualisierung: 14. Januar 2019
Erstellt durch: Redaktion Gesundheitsportal
Expertenprüfung durch: Univ.Prof. Dr. Ulrich Gert Jäger, Facharzt für Innere Medizin, Zusatzfach Innere Medizin (Hämatologie und internistische Onkologie)