Gangstörungen im Alter
Inhaltsverzeichnis
Gangstörungen – Was ist das?
Ein sicherer Gang hängt von den motorischen Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit oder Beweglichkeit ab. Auch ein gesunder Bewegungsapparat ist eine wichtige Voraussetzung. Die Bewegung wird von Gehirn und Nerven gesteuert. Beim Gehen spielen verschiedene Systeme zusammen:
- Bewegungsapparat (Muskeln, Gelenke, Sehnen etc.),
- Sinnesorgane für Gleichgewicht (Ohr und Gehör) und Sehen (Augen),
- Herz, Kreislauf, Gefäße und Atmung sowie
- Gehirn und Nerven.
Als Gangstörungen werden Abweichungen vom natürlichen Gangbild bezeichnet, z.B. sehr langsames Gehen, ein auffälliges Gangbild, Humpeln, kleine Schritte etc. Gangstörungen beginnen häufig mit Störungen des Gleichgewichts oder des Bewegungsablaufs. Sowohl Gangstörungen als auch Gangunsicherheiten erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Stürze. Oft schränkt die Angst vor Stürzen die Mobilität weiter ein und führt zu vorsichtigen Gangarten. So bewegen sich Betroffene z.B. wie auf Eis oder einem glatten Boden. Zudem wird der Stand breitbeiniger, die Schritte kürzer und das Gehtempo deutlich verringert.
Gangstörungen und Altern
Eine normale Folge des Alterns ist unter anderem, dass die selbstgewählte Geschwindigkeit beim Gehen ab dem 60. Lebensjahr etwas abnimmt, und zwar ungefähr ein Prozent pro Jahr. Aufgrund von altersbedingten Veränderungen wie nachlassender Kraft, abnehmendem Sehvermögen etc. verändert sich das Gangbild. Die Bewegungen werden vorsichtiger. Bei einer Gangstörung gehen jedoch die Einschränkungen der Gehbewegung über die normalen altersbedingten Veränderungen hinaus. Ältere Personen, die beim Sprechen stehen bleiben müssen, haben ein deutlich höheres Sturzrisiko.
Generell finden sich Gangstörungen häufig bei älteren Patientinnen/Patienten. Die Prävalenz steigt von zehn Prozent bei den 60- bis 69-Jährigen auf bis zu 60 Prozent bei den über 80-Jährigen. Abgesehen vom Alter wird das Gangmuster selbst auch von der Persönlichkeit, der Stimmung und soziokulturellen Faktoren beeinflusst.
Gangstörungen vermeiden: Beweglich bleiben
Wer sich regelmäßig ausreichend bewegt und seine körperlichen Fähigkeiten in Schwung hält, legt einen wichtigen Grundstein, um im Alter gesund zu bleiben. Körperliche Fitness beugt u.a. dem Risiko von Stürzen vor. Weitere Informationen finden Sie unter Bewegungsempfehlungen für ältere Menschen und Voraussetzungen für gesundes Altern.
Welche Ursachen haben Gangstörungen?
Gangstörungen im Alter können verschiedene Ursachen haben, häufig liegt eine Kombination mehrere Faktoren vor:
- Neurologische Ursachen – Schädigungen oder Erkrankungen der Nerven, die zu einer Unsicherheit beim Gehen und Stehen führen, z.B. multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Demenz-Erkrankungen, funikuläre Myelose (Vitamin-B12-Mangel) etc. Die Gangstörungen treten meist in Verbindung mit Schwindel und Gleichgewichtsstörungen auf.
- Orthopädische Ursachen – Schwächen oder Erkrankungen des Bewegungsapparates, z.B. Sarkopenie, Verletzungen oder Erkrankungen der Knochen, Gelenke oder der Wirbelsäule, wie Bandscheibenvorfall, Arthrose etc.
- Internistische Ursachen – Durchblutungsstörungen, z.B. periphere arterielle Verschlusskrankheit (Schaufensterkrankheit), niedriger Blutdruck, Nebenwirkungen oder unerwünschte Wechselwirkungen von Medikamenten (z.B. beruhigende oder blutdrucksenkende Medikamente), Alkohol etc. Hier stellt vor allem die Polypharmazie (Einnahme mehrerer Arzneimittel) einen wichtigen Risikofaktor für Stürze im Alter dar.
- Psychogene Ursachen – wie Angst vor Sturz.
Welche Formen von Gangstörungen gibt es?
Gangstörungen können von der Ärztin/vom Arzt auch hinsichtlich ihres klinischen Beschwerdebildes eingeteilt werden.
Dabei sind häufige Störungen bei älteren Patientinnen/Patienten:
- Sensorische Gangstörung – die Sinnes- und Körperwahrnehmung ist beeinträchtigt, z.B. Schädigungen von Nerven (Polyneuropatie), beidseitige Störung des Gleichgewichtsorgans (Vestibulopathie), Sehschwäche (Visusminderung), Lagerungsschwindel etc.
- Hypokinetische Gangstörung – sie zeigt sich in Einschränkungen der Bewegung bzw. in Bewegungsarmut und einem langsamen, schlurfenden Gang, z.B. bei Morbus Parkinson, Normaldruckhydrozephalus oder Demenz.
- Ataktische Gangstörung – die vom Gehirn gesteuerte Koordination der Bewegung ist gestört, z.B. bei Kleinhirnatrophie (Schwund von Kleinhirngewebe).
- Ängstliche Gangstörung – langsamer, vorsichtiger Gang, geprägt durch die Angst vor Stürzen.
- Antalgische Gangstörung – durch Schmerz beeinträchtigter Gang, Hinken.
- Vestibulär bedingte Gangstörung – typischerweise fällt das rasche Gehen und Laufen leichter als langsames Gehen.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Untersuchung älterer Patientinnen und Patienten mit den Symptomen einer Gangstörung hat das Ziel, die Ursachen und zugrundeliegende Defizite aufzuzeigen.
Bei der Anamnese fragt die Ärztin/der Arzt nach Art der Beschwerden und begleitenden Umständen:
- Wie lange dauern die Beschwerden und wie verlaufen sie? (Z.B. plötzlich oder langsam beginnend, episodisch oder dauerhaft etc.)
- Wann treten die Gangstörungen auf? Gibt es Auslöser? (Z.B. Dunkelheit, unebener Untergrund, nach der Einnahmen von Medikamenten etc.)
- Treten begleitende Symptome auf? (Z.B. Schwindel, Übelkeit, Angst, Schmerzen, Gleichgewichts- und Sensibilitätsstörungen etc.)
- Bestehen andere Erkrankungen?
- Sind Sie in letzter Zeit gestürzt? Wenn ja, wie oft und unter welchen Umständen?
Bei der klinischen Untersuchung beurteilt die Ärztin/der Arzt den Gang der Patientin/des Patienten und führt verschiedene Untersuchungen und Tests durch. Dazu zählen neurologische und internistische Untersuchungen sowie Seh-, Gleichgewichts- und Reaktionstests. Damit kann die Ärztin/der Arzt die wichtigste Ursache der Gangstörung näher eingrenzen. Ev. werden zusätzlich bildgebende Untersuchungen (z.B. MRT) oder Laboruntersuchungen verordnet.
Wie erfolgt die Behandlung von Gangstörungen?
Die Therapie hängt von der zugrundeliegenden Erkrankung bzw. der Hauptursache ab. Meist liegt eine Kombination von Störungen im Bewegungsapparat (Muskelschwäche, Gelenksschäden etc.), Nervenerkrankungen und Beeinträchtigungen der Hirnfunktionen vor. In diesen Fällen ist eine Kombination von mehreren Behandlungen notwendig.
Zu den Maßnahmen der Therapie von Gangstörungen zählen:
- Medikamentöse oder operative Behandlung der Grunderkrankung.
- Physiotherapie bzw. motorisch-kognitives Training, um die Gangsicherheit und die Hirnfunktionen zu verbessern.
- Sturzprävention mit körperlichem Training und Beratung. Ziel ist, das Sturzrisiko im Alltag zu senken (z.B. feste Schuhe tragen, Hilfsmittel zum Gehen verwenden, Sturzfallen in der Wohnung beseitigen etc.)
- Die Korrektur von Sehschwächen erhöht die Sicherheit beim Gehen.
- Die Kontrolle der Medikation und gegebenenfalls eine Umstellung können unerwünschte Nebenwirkungen und Wechselwirkungen vermeiden. Dies gilt besonders z.B. für beruhigende oder blutdrucksenkende Medikamente.
Folgende Erkrankungen können, neben den bereits angeführten, auch Gangstörungen verursachen:
Beidseitige Vestibulopathie
Bei der beidseitigen (bilateralen) Vestibulopathie ist das Gleichgewichtsorgan geschädigt. Die Erkrankung bleibt oft Jahre unerkannt. Symptome sind Sehstörungen wie Wackelbilder bei Kopfbewegungen, Störungen der räumlichen Orientierung und Gangunsicherheit als Folge von bewegungsabhängigem Schwindel. Die Beschwerden treten vor allem beim Gehen auf unebenem Untergrund und in Dunkelheit auf. Ursache sind meist sogenannte ototoxische Medikamente. So werden Medikamente bezeichnet, die für das Hör- und Gleichgewichtsorgan schädlich sind, z.B. Aminoglykoside.
Diese Störung des Gleichgewichtsorgans kann auch als Folge eines Vitamin-B12-Mangels oder eines Morbus Menière auftreten. In rund der Hälfte der diagnostizierten Fälle kann die Ärztin/der Arzt jedoch keine spezifische Ursache feststellen. Zur Behandlung zählen: die Kontrolle der Medikation bzw. die Vermeidung ototoxischer Medikamente, der Ausgleich eines Vitamin-B12-Mangels sowie regelmäßige Physiotherapie mit Gang- und Gleichgewichtstraining.
Normaldruckhydrozephalus
Der Hirndruck ist aufgrund einer Erweiterung der inneren Liquorräume erhöht. Typische Symptome sind ein kleinschrittiges, schlurfendes Gangbild mit guten Armbewegungen sowie demenzielle Anzeichen und Harninkontinenz. Der bildgebende Befund (MRT) zeigt eine Erweiterung der inneren Liquorräume. Ähnliche Symptome zeigt die vaskuläre Enzephalopathie. Für die genaue Diagnose bzw. Therapie wird ein Liquorablass durchgeführt. Bringt der Liquorablass eine Besserung, kann der operative Einsatz eines Implantats (Shunt), zur Ableitung überschüssiger Gehirnflüssigkeit erfolgen.
Ängstliche Gangstörung
Viele ältere Patientinnen/Patienten mit Gangstörungen haben Angst vor Stürzen. Eine ängstliche Gangstörung tritt oft in Verbindung mit einer Depression auf. Die Therapie umfasst eine psychologische Behandlung bzw. Psychotherapie (z.B. Verhaltenstherapie), um das Vertrauen zur eigenen Stand- und Gehsicherheit zu erhöhen und eine medikamentöse Therapie der Angststörung bzw. Depression. Die Therapie ist abhängig von der Ursache und umfasst Krankengymnastik, Medikamente, Verhaltenstherapie und selten operative Eingriffe.
Wohin kann ich mich wenden?
Für die Behandlung von Gangstörungen können Sie sich an Ihre Hausärztin/Ihren Hausarzt oder an folgende Fachärztinnen/Fachärzte wenden:
- Fachärztin/Facharzt für Innere Medizin (Zusatzgebiet Geriatrie),
- Fachärztin/Facharzt für Neurologie,
- Fachärztin/Facharzt für Orthopädie oder
- Fachärztin/Facharzt für Physikalische Medizin und Allgemeine Rehabilitation.
Wie erfolgt die Abdeckung der Kosten?
Alle notwendigen und zweckmäßigen Diagnose- und Therapiemaßnahmen werden von den Krankenversicherungsträgern übernommen. Grundsätzlich rechnet Ihre Ärztin/Ihr Arzt direkt mit Ihrem Krankenversicherungsträger ab. Bei bestimmten Krankenversicherungsträgern kann jedoch ein Selbstbehalt für Sie anfallen (z.B. BVAEB, SVS, SVS, BVAEB). Sie können allerdings auch eine Wahlärztin/einen Wahlarzt (d.h. Ärztin/Arzt ohne Kassenvertrag) in Anspruch nehmen. Nähere Informationen finden Sie unter Kosten und Selbstbehalte.
Bei bestimmten Untersuchungen (z.B. MRT) kann eine chefärztliche Bewilligung erforderlich sein. Bei bestimmten nicht medikamentösen Behandlungen (z.B. physikalische Therapie) kann – in manchen Fällen erst bei Erreichen eines bestimmten Ausmaßes – eine Bewilligung der Krankenversicherungsträger erforderlich sein. Bei bestimmten Leistungen (z.B. stationäre Aufenthalte, Hilfsmittel und Heilbehelfe) sind – je nach Krankenversicherungsträger – Kostenbeteiligungen der Patientinnen/Patienten vorgesehen. Heilbehelfe müssen zuerst von der Ärztin/vom Arzt verordnet werden. Die meisten Krankenversicherungsträger sehen – teilweise abhängig von der Art des Heilbehelfs – eine Bewilligung vor.
Für Medikamente auf „Kassenrezept“ ist die Rezeptgebühr zu entrichten. Über die jeweiligen Bestimmungen informieren Sie sich bitte bei Ihrem Krankenversicherungsträger, den Sie über die Website der Sozialversicherung finden.
Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.
Letzte Aktualisierung: 27. Juli 2021
Erstellt durch: Redaktion Gesundheitsportal
Expertenprüfung durch: Prof. Dr. Thomas Frühwald, Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie