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Kinderlähmung (Poliomyelitis)

Die Kinderlähmung ist eine hochinfektiöse Viruskrankheit. Der Fachbegriff lautet Poliomyelitis, kurz Polio. Auslöser der Erkrankung sind sogenannte Polioviren. Kinderlähmung war vor der Verfügbarkeit von Polio-Impfstoffen weltweit verbreitet. Die Erkrankung kommt derzeit noch in einigen Ländern mit schlechten hygienischen Verhältnissen vor.

Eine Infektion mit Polioviren verläuft in den meisten Fällen ohne Symptome. Daneben sind milde, unspezifische Symptome bis hin zu schweren Krankheitsverläufen möglich. Die „klassische“ Kinderlähmung verursacht Lähmungserscheinungen, die an den Beinen beginnen und auf andere Körperregionen übergehen können. Wenn die Atemmuskulatur betroffen ist, kann die Erkrankung lebensbedrohlich werden. Es gibt keine spezielle Therapie gegen das Poliovirus.

Die Impfung gegen Kinderlähmung ist in Österreich im kostenfreien Impfprogramm enthalten.

Wie wird Kinderlähmung übertragen?

Kinderlähmung wird von Mensch zu Mensch übertragen. Auslöser der Erkrankung sind sogenannte Polioviren, die zur Gruppe der Enteroviren gehören. Polioviren finden sich bei infizierten Personen im Rachen und im Darm. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Kontakt mit den Ausscheidungen einer infizierten Person bzw. durch verunreinigtes Trinkwasser oder Lebensmittel. Fachleute sprechen von einer fäkal-oralen Übertragung. Auch eine Übertragung der Viren über die Atemluft als sogenannte Tröpfcheninfektion ist möglich.

Schlechte hygienische Bedingungen begünstigen die Übertragung der Polioviren.

Polioviren sind hochansteckend. Infizierte Personen tragen das Virus mehrere Wochen im Körper, vor allem im Darm. Sie können es bis zu sechs Wochen lang ausscheiden und an andere weitergeben.

Welche Arten von Polioviren gibt es?

Es gibt verschiedene Arten von Polioviren: Poliovirus Typ 1, Typ 2 und Typ 3. Fachleute bezeichnen diese als Wildtyp-Polioviren. Die Typen 2 und 3 wurden von der WHO als ausgerottet erklärt. Aktuell kommt nur mehr Poliovirus Typ 1 in einigen Ländern der Welt vor.

Daneben gibt es sogenannte Impfstoff-abgeleitete Polioviren, kurz cVDPV. Dabei handelt es sich um Polioviren, die sich aus einem Lebendimpfstoff gegen Kinderlähmung ableiten. Sie können entstehen, wenn die Impfviren lange Zeit in der Bevölkerung zirkulieren und sich dabei genetisch verändern. Die Gefahr dafür besteht vor allem in Regionen, in denen nur wenige Menschen gegen Kinderlähmung geimpft sind.

Weltweit treten heute nur mehr wenige durch Wildtyp-Polioviren verursachte Fälle von Kinderlähmung auf. In den letzten beiden Jahren wurden fünfmal mehr Erkrankungsfälle durch Impfstoff-abgeleitete Polioviren als durch Wildtyp-Polioviren registriert.

Hinweis

Personen, die vollständig gegen Kinderlähmung geimpft sind, sind sowohl vor Erkrankungen durch Wildtyp-Polioviren als auch vor Erkrankungen durch Impfstoff-abgeleitete Polioviren geschützt.

In Österreich wird der Lebendimpfstoff nicht mehr verwendet. Die Impfung gegen Kinderlähmung erfolgt mit einem Totimpfstoff. Mehr zum Thema: Die verschiedenen Arten von Impfstoffen

Wo ist Kinderlähmung verbreitet?

Vor der Verfügbarkeit von Polio-Impfstoffen war die Kinderlähmung weltweit verbreitet. Der Kontakt mit dem Erreger erfolgte meist schon im Kindesalter. Daher stammt die Bezeichnung Kinderlähmung. Durch Impfungen sehr vieler Menschen konnte das Vorkommen der Polioviren stark zurückgedrängt werden. Europa gilt seit dem Jahr 2002 als „poliofrei“.

Die Kinderlähmung kommt derzeit in einigen Ländern mit schlechten hygienischen Verhältnissen vor, vor allem in Pakistan, Nigeria und Afghanistan.

Hinweis

Polioviren können aus Risikogebieten nach Europa und nach Österreich eingeschleppt werden. Im Falle einer Einschleppung der Krankheit kann jede und jeder Ungeimpfte daran erkranken.

Die Inkubationszeitd.h. die Zeit von der Ansteckung bis zum Auftreten erster Symptome – beträgt meist vier bis zehn Tage. Je nach Art des Erregers kann sie aber drei bis 35 Tage betragen.

Welche Symptome können auftreten?

Der Großteil der Infektionen – mehr als 95 Prozent - verläuft ohne Krankheitszeichen. Das Immunsystem bildet jedoch Antikörper aus. Fachleute sprechen von einer stillen Feiung.

Hinweis

Auch Personen ohne Krankheitszeichen sind für andere ansteckend. Sie tragen maßgeblich zur Weiterverbreitung des Poliovirus bei.

Wenn Symptome auftreten, sind verschiedene Krankheitsverläufe mit unterschiedlichem Schweregrad möglich.

Abortive Poliomyelitis

Diese Form der Erkrankung betrifft vier bis acht Prozent der infizierten Personen. Es treten milde, unspezifische Symptome auf. Dazu zählen unter anderem:

  • Fieber
  • Halsschmerzen und Schluckbeschwerden
  • Kopf- und Gliederschmerzen
  • Übelkeit und Erbrechen

Das Nervensystem ist nicht betroffen. Die Beschwerden klingen nach rund drei Tagen wieder ab, und die Erkrankung heilt ohne Folgen aus. 

Nicht paralytische Poliomyelitis

Diese Form der Erkrankung betrifft ein bis zwei Prozent der infizierten Personen. Dabei befallen die Erreger auch das Nervensystem. Die Symptome sind zunächst gleich wie bei der abortiven Poliomyelitis. Nach etwa einer Woche Beschwerdefreiheit entwickeln die Betroffenen zudem eine Hirnhautentzündung, eine sogenannte aseptische Meningitis. Diese macht sich durch erneuten Fieberanstieg, Kopfschmerzen, Nackensteife, Rückenschmerzen und Muskelkrämpfe bemerkbar. Die Erkrankung heilt bis auf eine vorübergehende Muskelschwäche meist wieder komplett aus. Es treten keine Lähmungserscheinungen auf.

Paralytische Poliomyelitis

Ein Befall des Nervensystems führt bei 0,1 bis 0,5 Prozent aller infizierten Personen zur „klassischen“ Kinderlähmung. Fachleute sprechen von der paralytischen Poliomyelitis. Die Beschwerden der aseptischen Meningitis bessern sich zunächst. Nach zwei bis drei Tagen treten Lähmungserscheinungen auf, die meist an den Beinen beginnen. Sie können bei fortschreitender Erkrankung auf die Arme, den Bauch, den Brustkorb und auf die Augenmuskulatur übergehen. Typisch ist eine asymmetrische Verteilung. Wenn auch die Atemmuskulatur oder die Hirnnerven beteiligt sind, kann die Erkrankung tödlich sein.

Welche Folgen können auftreten?

Die klassische Kinderlähmung hinterlässt oft Dauerschäden, z.B. Durchblutungsstörungen, Gelenkschäden, Fußdeformitäten. Die Lähmungen bilden sich teilweise, aber nicht vollständig zurück.

Jahre oder Jahrzehnten nach einer Kinderlähmung kann das sogenannte Post-Polio-Syndrom auftreten. Dabei kommt es zu

  • extremer Müdigkeit,
  • Muskelschmerzen,
  • zunehmenden Lähmungen,
  • Muskelschwund,
  • Atem- und Schluckbeschwerden.

Die genaue Ursache für das Post-Polio-Syndrom ist nicht bekannt.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Die Diagnose Kinderlähmung wird durch direkten Nachweis des Krankheitserregers gestellt. Der Nachweis gelingt am besten aus einer Stuhlprobe in den ersten 14 Tagen der Erkrankung. Unter Umständen kann auch ein Rachenabstrich oder Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit auf das Vorhandensein des Virus untersucht werden.

Wie erfolgt die Behandlung der Kinderlähmung?

Es gibt keine spezielle Therapie gegen das Poliovirus. Die Behandlung besteht darin, Symptome zu lindern, z.B. mithilfe schmerzstillender Medikamente.

Je nach Verlauf der Erkrankung können längere physiotherapeutische und orthopädische Nachbehandlungen notwendig sein, um mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen zu verbessern.

Wie Sie vorbeugen können

Die Impfung gegen Kinderlähmung ist in Österreich im kostenfreien Impfprogramm enthalten. Sie wird im Rahmen der 6-fach-Impfung im 3., 5. und 11. bis 12. Lebensmonat geimpft. Im Schulalter wird die Kombinationsimpfung Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Polio im 7. bis 9. Lebensjahr wiederholt.

Nach der Grundimmunisierung im Säuglingsalter und der Auffrischungsimpfung im Schulalter sollen Auffrischungsimpfungen mit einem Kombinationsimpfstoff  gegen DiphtherieTetanusPertussis und Polio regelmäßig alle zehn Jahre erfolgen.

Mehr zum Thema: Impfung gegen Kinderlähmung

Hinweis

Reisende in Endemiegebiete sollten vollständig gegen Polio geimpft sein und für die Dauer des Aufenthaltes über einen Impfschutz verfügen. Im internationalen Reiseverkehr gilt unter Umständen sogar eine Impfpflicht gegen Polio. Fachleute empfehlen dringend, sich vor einer Reise entsprechend zu erkundigen.

Wohin kann ich mich wenden?

Vor einer geplanten Fernreise sollten Sie sich rechtzeitig ärztlich beraten lassen. Wenden Sie sich an

  • eine Ärztin bzw. einen Arzt für Allgemeinmedizin,
  • eine Ärztin bzw. einen Arzt für Reisemedizin bzw. Tropenmedizin,
  • eine Fachärztin bzw. einen Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie.

Das Außenministerium bietet Reiseinformationen für alle Länder der Welt, inklusive Reisewarnungen.

Die verwendete Literatur finden Sie im Quellenverzeichnis.

Letzte Aktualisierung: 8. November 2023

Erstellt durch: Redaktion Gesundheitsportal

Expertenprüfung durch: Univ.Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Facharzt für Klinische Mikrobiologie und Hygiene, Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, Zert. Reisemedizin

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